„Journalismus ist potenziell immer live“

In Echtzeit berichten und mit dem Nutzer interagieren können – das sind für Christian Jakubetz zwei elementare Anforderungen zukunftsfähiger Journalisten. Welche Herausforderungen und Chancen es dabei gibt, erklärt der erfahrene Berater und Journalist in diesem Interview. Jüngst ist sein neues Buch Universalcode 2020* erschienen, einer Art Praxisratgeber für Digitaljournalismus.

Digitaljournalismus

Es ist kaum mehr ein klassisches Medienunternehmen nicht auch online präsent. Dennoch differenzieren Sie zwischen analogem und digitalen Journalismus. Was zeichnet einen digitalen Journalisten gegenüber seinem analogen Kollegen aus?

Christian Jakubetz: Digitaler Journalismus bedeutet in erster Linie Vielkanaligkeit, Interaktion, Multipräsenz und komplexe, verschiedene Darstellungsformen. Digitale Journalisten müssen sehr viel mehr kommunizieren und interagieren, das gehört quasi zum Berufsbild. Im Regelfall muss der Digitaljournalist sehr viel mehr Darstellungsformen beherrschen, er darf sich de facto keiner verschließen. Zudem können/müssen Digital-Journalisten jederzeit in der Lage sein, in einen Echtzeit-Modus zu wechseln.

Es tun sich laufend neue Möglichkeiten (Technologien/Plattformen/Formate) auf und es wird viel herum probiert. Da wird bspw. den „jungen Kollegen“ Snapchat überlassen und die legen dann mal „irgendwie“ los. Was muss anders laufen?

Christian Jakubetz: Prinzipiell spricht nichts dagegen, sich diesen neuen Dingen mit einem Trial&Error-Prinzip anzunähern. In vielen Fällen hat das aber auch mit einer Alibi-Funktion zu tun. Tatsächlich müsste in einem nächsten Schritt eine echte Struktur zur digitalen Weiterentwicklung geschaffen werden. Nur weil ein paar Kollegen auch einen Snapchat-Account haben, wird man noch lange nicht zukunftsfähig.

Foto: King_Peewee, Pixabay.com, lizensiert unter Creative Commons CC0
Foto: King_Peewee, Pixabay.com, lizensiert unter Creative Commons CC0 1.0

Jeder Journalist sollte heutzutage zumindest über den Tellerrand gucken und die Besonderheiten eines jeden Formats und jeder Plattform kennen. Sie gehen noch weiter und sagen, jeder sollte alles beherrschen. Kann mit diesem Ansatz Qualität entstehen?

Christian Jakubetz: Natürlich werden nie alle alles gleich gut beherrschen. Was ich meine ist: Jeder sollte zumindest alles verstehen. Wenn man also eine Ahnung hat, wo und wie Bewegtbild am besten funktioniert, dann reicht das aus. Wenn man zumindest weiß, wie man Bilder dreht und wie man sie grob bearbeitet, reicht das ebenfalls. Für alles andere hat es immer Spezialisten gegeben – und sie haben natürlich auch weiterhin ihre Berechtigung.

Echtzeit-Journalismus

Live-Ticker werden heutzutage fast schon inflationär eingesetzt. Welche Entwicklungen und Chancen sehen Sie im Echtzeit-Journalismus abseits dieses Formats?

Christian Jakubetz: De facto existiert schon jetzt eine zwei Säule im Journalismus – nämlich der Echtzeit-Journalismus. Ob nun Twitter, Snapchat, de facto eigentlich alle sozialen Netzwerke, ob nun Livestreams oder eben Liveticker: De facto ist jeder in der Lage, sofort in diesen Livemodus umzuschalten. Ich bin mir sicher, dass das in den kommenden Jahren auch keine großen Debatten mehr hervorrufen wird. Journalismus ist potentiell eben immer auch ein Livemedium. Nur dass Live künftig nicht mehr bedeuten muss, dass sich Millionen Menschen um eine einzige Übertragung versammeln. Live, das können theoretisch auch vier oder fünf Leute sein.

Ein Livestream kann heute von jedem Smartphone aus gestartet werden. Welche Besonderheiten und Herausforderungen gibt es hier?

Christian Jakubetz: Livestreams sind eine denkbar einfache Sache. Man darf sie nur nicht mit der klassischen Übertragung im TV verwechseln. Bei Livestreams rückt automatisch der „Host“ des Streams in den Mittelpunkt. Er ist nicht nur Moderator oder Interviewer, sondern gleichzeitig auch derjenige, der mit seinem Publikum interagiert. Ein Livestream ist also im Gegensatz zu seinem TV-Pendant eine hochgradig interaktive Veranstaltung.

Titel: Universalcode 2020. Content + Kontext + Endgerät*
Autor: Christian Jakubetz
Verlag: UVK Verlagsgesellschaft
ISBN: 978-3867646819

Gemeinnütziger Journalismus in Deutschland

Journalistische Arbeit ist ein Dienst an der Allgemeinheit, fördert die politische Meinungs- und Willensbildung des Volkes und sichert so auch die Vielfalt in der öffentlichen Debatte. Durch Journalismus wird das allgemeine, politische, kulturelle und wirtschaftliche Verständnis der Bundesbürger gefördert und somit zur Bildung des Volkes beigetragen. Journalismus handelt im Auftrag und im Sinne des Volkes und hat demokratiestiftende Funktion, was sich bspw. in der Verankerung der Pressefreiheit im Grundgesetz widerspiegelt. Journalismus fördert das Gemeinwohl und erfüllt die Voraussetzungen, gemeinnützig zu sein.

Voraussetzungen

Unter bestimmten Voraussetzungen könnte die Arbeit eines Journalisten oder einer Redaktion gemeinnützig sein. Eben dann, wenn der Journalist / die Redaktion selbstlos für das Gemeinwohl arbeiten. Diese Selbstlosigkeit bedingt, dass der Journalist oder die Redaktion nicht aus eigenwirschaftlichem Interesse arbeitet. D.h. der Gewinn müsste wiederum ausschließlich für journalistische Arbeit verwendet werden. Die Förderung der Allgemeinheit könnte z.B. darin bestehen, dass die Ergebnisse der journalistischen Arbeit kostenfrei und barrierefrei der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden würden.

Nicht alle Redaktionen sind gleich gemeinnützig

Letztlich muss die Selbstlosigkeit von den Finanzbehörden geprüft werden. Nach meiner Auffassung dürfte aber nicht jedes gewerbliche Medienhaus einfach vermeintlich gemeinnützige Redaktionen gründen, denn Sinn und Zweck der Medienhäuser ist es ja, ihre Inhalte zu vermarkten, um ihren Eigentümern einen Gewinn ausschütten zu können, was ein Interessenkonflikt darstellen würde. Die Selbstlosigkeit wäre nicht mehr gegeben.

Gemeinnütziger Journalismus als Chance

Gemeinnützigkeit ist eine Chance für den Journalismus in Deutschland, denn gewerbliche Medienunternehmen thematisieren aufgrund ihrer eigenwirtschaftlichen Interessen bestimmte Themen nicht. Gewerbliche Medienunternehmen stehen zudem unter immer größer werdendem finanziellen Druck, was Auswirkungen auf die journalistische Arbeit hat: Bspw. sind der Recherchejournalismus und der Lokaljournalismus chronisch unterfinanziert, was sich in der Qualität und – in Extremfällen – auf ihre Unabhängigkeit auswirkt.

Hier kann die Gemeinnützigkeit mit der Möglichkeit neuer Finanzierungsformen eine Lücke im Medienmarkt schließen. Außerdem würde gemeinnütziger Journalismus die Vielfalt der Medien stärken. In Zeiten, in denen immer mehr Zeitungen eingestellt werden, ist dies besonders wichtig.

Geschäftsmodelle

Egal ob Stiftung, gGmbH, gemeinnütziger Verein oder Genossenschaft: Umsatz könnten diese Körperschaften durch Spenden, Werbeeinnahmen oder Lizenzeinnahmen (für gewerbliche Nutzer der Inhalte) generieren.

Vordenker

In anderen Ländern, bspw. den USA, kann Journalismus längst als gemeinnützig anerkannt werden. Aber auch hierzulande findet die Idee immer mehr Anhänger und wird öffentlich diskutiert. Von Seiten der Medienunternehmen ist indes weniger Unterstützung zu erwarten, denn im Falle einer Anerkennung von journalistischer Arbeit (unter oben genannten Umständen) hieße das für sie: Ein Mehr an Konkurrenz in Produkten und Finanzierung.

 

Weiterführender Link:
Studie „Stiftungsfinanzierter Journalismus in den USA“ der TU Dortmund